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Käfig – Es ist eine Geschichte über meine stille Oma Lena

von | Mrz 22, 2022

Es ist 1937, Stalin ist an der Macht. Das diktatorische und tyrannische Regime sorgt für Enteignung vieler Bauern. NKWD (Innenministerium der UdSSR) hat die Blonskoe (Niederdorf, Ukraine), wo sehr viele Deutschen seit den Zeiten der Großen Ekaterinas leben, nicht übersehen. Seither ist alles anders.

Der Familienvater einer sechsköpfigen Großfamilie wird verhaftet , weil er ein paar Kartoffeln zur Saat an die notdürftigen abgegeben hat. Er verschwindet somit und wird nie wiedergesehen, wie die schöne Kindheit für die damals 7-jährige Elena, meiner Oma.

Es folgen etliche Jahre schwerer körperlicher Arbeit, und das ist erst der Anfang. Die NKWD habe gesagt, dass der Vater bald wieder Heim kommt und soll wohl in der Odessa in der Haft sein. Meine Uroma versucht immer wieder den Mann zu finden und schickt warme Kleidung in das Gefängnis. Es kommt aber keine Nachricht zurück. Erst nach dem Mauerfall erfuhr die Familie auf Anfrage, dass der Mann 1937, paar Tage nach der Verhaftung erschossen wurde.

Es ist Krieg, 1941 kämpfen die Russen an der Front gegen die schwarze Seuche. Die Deutschen erreichen Blonskoe. Die Siedlung funktioniert, die Deutschen freuen sich. Jetzt sind alle unter sich, doch irgendwie werden die nicht wie richtige Deutschen behandelt. Der Familie wird das Haus enteignet und sie müssen für die Soldaten jetzt arbeiten.

Es gab wenig zu essen, da das ganze erwirtschaftete Hab und Gut an die Front geht. Die Arbeiter sammeln, nach dem es geerntet wurde, die restlichen Samen auf dem Feld aus dem Dreck ein, um über die Runden im Winter zu kommen. Da landet schon eine Katze bei der Nachbarin in den Topf. Dies ist aber nicht gut ausgegangen, so wie die Oma berichtete.

Die Deutschen werden irgendwann zurückgedrängt. Die ganze Karawane, die davon fliehen muss, wird über die Balkanroute organisiert ins Reich geschickt. Viele Kilometer mit Hab und Gut. Diese Fragen konnte mir bis jetzt keiner beantworten: Wie lange hat es gedauert? Wie verlief die Route genau? Vielleicht weiß es einer?

Es war ein langer und steiniger Weg. Vier Schwestern mit ihrer Mutter haben den Weg gemeistert und sind in Brandenburg untergebracht worden. Waßmannsdorf, das war die neue Heimat, ein Bauernhof. Ein Jahr – die Oma spricht gut über die Zeiten.

Als die Russen 1945 nach Brandenburg kamen, wurde es wieder mal anders. Es waren Verräter, es waren politische und anderssprachige Spione. So wurden die geflüchteten Deutschen behandelt. Der Gulag – war die Lösung in Stalins Ideologie für solche Menschen und so war es auch. Und los ging es für die ganze Sippe wieder Richtung Russland.

Es ist Winter, minus 45 Grad, es ist hinter dem Polarkreis. Die Familie ist in der Vologda gelandet. Ein Arbeitsstraflager. Es ist nichts da, außer leeren Häuser ohne Öfen. Mit bloßen Händen hat die Mutter von vier Töchtern zusammen mit in einer Frau, einen Ofen in einer Nacht zusammengelegt. Auf dem Speiseplan stehen oft die Brennesel und die Gartenmelde. Man versucht irgendwie in dem Horrorfilm zu überleben. Dazu kommt noch, dass das Arbeitspensum eines Sträflings sehr hoch ist. Die Minusgrade schnitzen die Haut aus dem Gesicht. Ab in den Wald. Die Älteren dürfen den Holzfäller spielen und die Äste abhacken, die Jüngeren helfen beim Schleppern mit. Jeden Tag aufstehen, zwei Stunden Waldweg hin, zwei Stunden zurück mit dem Holz und so 8 Jahre, bis 1953.

Als ich Oma darauf angesprochen habe, ist die in die Tränen ausgebrochen und konnte nichts mehr sagen. Sie saß auf ihrem großen Bett da, aber zusammengepfercht in einem kleinen Käfig. Dieser Druck ganz vieler Menschen schmiedete ganz engen Raum um sie, der konstant über die Jahre erhalten blieb.

Sie hat von der Angst berichtet. Irgendwelche Änderungen der Machtverhältnisse in Europa könnten ja noch kommen und dann würde ich auch da drunter leiden.

Die Oma hat sich für den Weg der Schweigsamkeit entschieden, und so nahm sie ihre Eindrücke mit in den Tod, als sie 2017 in Berlin verstarb.

Ich schreibe es auf, weil ich berichten will, dass drei Generationen vor mir sowas möglich war. Wenn wir uns an sowas nicht erinnern und versuchen nicht dies zu verstehen, werden wieder solche Zustände möglich sein.

Author: Dima Dobrovolskij

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